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Simon Steiner

Ich in der BILD-Zeitung – und warum das Thema wichtiger ist, als es scheint.

Aktualisiert: 6. Dez. 2022




Worum geht es?


Am 3.12.22 erschien mein Gesicht auf der Titelseite der Berliner BZ. Ein Blatt aus dem Hause Springer. Später erschien der Artikel auch auf BILD, BILD.de und damit binnen kurzer Zeit in ganz Deutschland, auf Startseiten, bei Google, T-Online und sämtlichen anderen Portalen, die den Artikel paraphrasiert übernahmen. Ja, seriösere Medien wären mir lieber gewesen, aber was soll's?


Es ging um einen Fall, mich und das Finanzamt Friedrichshain-Kreuzberg betreffend. Wegen eines fatalen Fehlers meiner damaligen Steuerberaterin wurden meine Konten ausnahmslos eingefroren. Der Fehler war schnell behoben, die Konten blieben aber dicht. Und zwar drei ganze Wochen lang. Das bedeutete eben nicht nur, dass ich mehrere Kilo abnahm (steht in der BILD, muss also stimmen), es bedeutete vor allem, dass mein Unternehmen nicht mehr operieren konnte und ich meine KV-Beiträge, Löhne etc. nicht zahlen konnte. Kurz: ich war vollkommen handlungsunfähig.


Das Finanzamt handelte, wie man es leider von einer nicht-digitalen Behörde erwarten kann: gar nicht!

Buchungen, die das FA erreichten, mussten händisch zugeordnet werden. Erst wenn das geschehen ist, könnten die Sachbearbeiter:innen reagieren und meine Konten wieder freigegeben werden. Das hätte Wochen dauern können. Bis dahin wäre mein Unternehmen insolvent und ich wohnungslos und ohne Versicherungsschutz gewesen.


"Pleite, wegen Digitalisierungsstau." So hätte ich mir eine Headline von Springers heißem Blatt gewünscht.


Um das zu verhindern, eskalierte ich. Mir war klar: von unten nach oben funktioniert in starren Hierarchien nicht. Man muss oben anfangen. Also schrieb ich direkt an die Senatsverwaltung, an Franziska Giffey als noch regierende Bürgermeisterin, an Herrn Wesener als Senator der Finanzen. Das Team von Frau Giffey reagierte, leitete den Fall weiter. Das wollte ich hören. Dem Finanzsenator scheint das eher kalt zu lassen. Gleichzeitig schrieb ich den Redaktionen der Hauptstadtpresse. BILD biss an. War zu erwarten. Dass ich auf der Titelseite lande, war nicht so zu erwarten. Und ja, der RBB wäre mir lieber gewesen.


Schnelles Fotoshooting, Opferpose vor dem leeren Kühlschrank. Ein paar Tage später (da waren meine Konten schon wieder frei, weil ich persönlich beim FA auf den Putz gehauen habe), sah ich ganz Berlin auf den Aufstellern vor den Spätis an, danach klingelte mein Telefon Sturm. Die einen wollten mir Fresspakete schicken, die anderen boten mir 5000€, schnell und unkompliziert, wieder andere wollten ihre "Jungs" in Stellung bringen und dem FA mal aufs anständig Dach steigen. Ich bedankte mich höflich, lehnte aber ab.


Ja, das ist so schlimm, wie es klingt.


Schlimm ist aber nicht so sehr, dass so ein Fall mir armem Kerl das Leben versaut.


Schlimm ist es, dass unsere Behörden so sträflich unterdigitalisiert sind, dass sie im Grunde kaum noch handlungsfähig sind!


Die Menschen, die dort arbeiten, sind zu einem großen Teil vollkommen ungeschult und ahnungslos. Mit der beschämend maroden technischen Ausstattung sind solche Probleme offenbar die Tagesordnung in unseren Behörden.

Das muss aber nicht sein. All unsere Nachbarländer, allen voran Dänemark, haben mittlerweile sehr effiziente und am Menschen orientierte digitale Verwaltungen. Das spart Zigmilliarden an Steuergeldern, beschleunigt die Prozesse, macht den Staat zu einer verlässlichen und schlagkräftigen Institution, der alles dafür tut, dass die Menschen eines Landes ein menschenwürdiges, erfolgreiches und gutes Leben führen können. Ganz gleich, ob Selbständige, Künstler:innen, Beamte, andere Arbeitslose, Lehrkräfte, oder Angestellte.


In diesen vier Wochen, die ich in meinem persönlichen Shutdown auf die Behörden wartete, um wieder arbeiten zu können, fing ich natürlich an, mich mit unserer maroden Staatsstruktur zu befassen. Für viele Menschen scheint das normal zu sein. Für mich als Innovationsstrategen und Zukunftsgestalter war es der Blick in die Hölle. Etwas, das alle Zuversicht schwinden lässt, dass wir als Gesellschaft die wirklich großen Probleme unserer Zeit gemeinsam bewerkstelligt bekommen. Allen voran das allumfassende Klimaproblem, mit all seinen Subproblemen, aus Biodiversitätskrise, Migrationsbewegungen, Nahrungs- und Wasserknappheiten, über die derzeit präsenteren Krisen bestehend aus Pandemie, Krieg, Fachkräftemangel und alle Herausforderungen rund um die Energie- und Mobilitätswende.


Nichts! So gar nichts werden wir lösen können, ohne einen effizienten, digitalen Staat.


In Deutschland arbeiten 5,1 Millionen Menschen im Öffentlichen Dienst!

Bei einem Durchschnittsgehalt in Deutschland von knapp 50.000€ brutto kommen wir demnach auf 250 Milliarden Euro nur für Gehälter. Zweihunderfünfzigmilliarden.


Zum Vergleich: Der Jahreshaushalt des Bundes 2021 lag bei 498 Milliarden, wovon ein großer Teil aus Schulden bestand.


Ein Finanzbeamter sagte mir:

"Ich verschicke lieber Briefe, denn am Faxgerät ist immer so eine lange Schlange"

– (Norbert S., Finanzbeamter)


Finde den Fehler!


Jeder Mensch im ÖD begann eine mehrminütige Hasstirade auf die Email, als ich den Digitalisierungsstau ansprach. Die Email sei unsicher, Datenschutz sei wichtig, bla bla.


Leute, eine Email ist auch nur ein Fax ohne angeschlossenen Drucker! Wer in der Zivilgesellschaft Faxe verschickt, tut dies online. Es geht beim Thema "Digitalisierung" nicht darum, das Fax gegen die Email zu ersetzen. Es geht darum manuelle Prozessschritte gegen digitale Prozessschritte zu ersetzen. Darum, die Prozesse insgesamt zu straffen, Menschen nicht als Konkurrenz zu einem Algorithmus einzusetzen, sondern Menschen als Menschen mit Empathie und Kreativität als Problemlöser:innen einzusetzen. Oder anders: Algorithmen sind die Sklaven unserer Zeit. Wer versucht, gegen Algorithmen zu konkurrieren, macht sich selbst zum Sklaven (frei nach einem etwas unpopulär gewordenen Fernseh-Philosophen).


Für ein Finanzamt könnte das bedeuten, dass ich einen Account habe mit Multifaktor-Authentifizierung, dann komme ich gut und einfach aufbereitet alle wichtigen Informationen zu dem, was ich so wissen muss um meiner Pflicht nachzukommen. Diese unleserlichen gelben Briefe, die irgendwo in meinem Steuerbüro verschwinden und nicht weiter geleitet werden, wären vollkommen überflüssig. Geld gespart, Zeit gespart, Nerven gespart, Umwelt geschont und vor allem: entspannt meiner Pflicht nachgekommen. Easy.


Meine Konten waren 3 Wochen länger eingefroren, als notwendig und wurden nur wieder freigegeben, weil ich sehr viel Lärm gemacht habe. Sehr viel Lärm!

Weil ein Mensch im technischen Finanzamt in Berlin Charlottenburg Daten von der linken Seite des Bildschirms händisch auf der rechten Seite des Bildschirms eintrug, dauerte das so absurd lange. Laut BILD-Recherchen waren das etliche Tausend Datensätze, die händisch übertragen wurden. Das dauert Wochen! Etwas, das über eine digitale Schnittstelle binnen Millisekunden passiert. Sowas ist respektlos und verächtlich den Menschen gegenüber, die solche unnötigen Tätigkeiten durchführen müssen, es ist eine Verballhornung aller Menschen, die so einen Unsinn mit ihren Steuern bezahlen müssen und es ist menschenverachtend denjenigen gegenüber, die wochenlang darauf warten müssen, dass sie wieder an ihr Geld kommen, um ihre Miete oder Krankenversicherung bezahlen zu können.


Es ist sträflich, beschämend und schlicht inakzeptabel!


Mir ist klar, dass so gut wie allen, mit denen ich sprach, die Hände gebunden waren. Beschissene Strukturen halt. Sorry.

Eine FA-Mitarbeiterin hatte Tränen in den Augen, als sie mich persönlich sah, weil sie erstens merkte, dass ich ein Mensch bin und weil sie dann realisierte, was hier alles so unglaublich schief lief, sie aber kaum Handlungsspielraum hatte, sondern gefangen war in einem durch und durch kaputten System. "Ich bin kein schlechter Mensch", sagte sie. "Weiß ich", entgegnete ich.

Sie tat mir leid. Ich tat ihr leid. Mir taten alle Menschen im FA leid. Einen ätzenderen Job kann man in Deutschland vielleicht kaum haben, als sich dem Groll der Bevölkerung auszusetzen und mit Faxgeräten im Schneckentempo hantieren zu müssen. Da kann man nur verbittern.


Deshalb:

Wenn wir die Klimakrise irgendwie managebar machen wollen:

MÜSSEN WIR DIE BEHÖRDEN DIGITALISIEREN!


Wenn wir den Fachkräftemangel bekämpfen wollen:

MÜSSEN WIR DIE BEHÖRDEN DIGITALISIEREN!


Wenn wir die inakzeptablen Zustände in Kitas, im Bildungs- und Gesundheitssystem ändern wollen:

MÜSSEN WIR DIE BEHÖRDEN DIGITALISIEREN!


Wenn wir konsequent digitalisieren – da bin ich mir sicher – können wir die Menschen im ÖD anständig fortbilden und die Hälfte aus den Strukturen befreien und dem überforderten Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen.


Ich kenne mich mit Staatsfinanzen nicht aus, aber wir hätten dann doch entspannt 100 Mrd. € mehr in den Staatskassen. Jedes Jahr! Das reicht, um die Klimakrise in ihrer schlimmsten Form zu schmälern. Das reicht, um die Schulen anständig auszustatten. Das reicht, um für alle Menschen, die grad auf den Straßen frieren menschenwürdigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das reicht, um beste Forschung zu finanzieren. Das reicht, um Menschen in der Pflege in Kitas, in systemrelevanten Berufen anständig zu bezahlen. Das reicht, um Mobilitäts- und Energiewende zu stemmen. Das reicht um Schukden abzubezahlen. Und das reicht, um Innovationsweltmeister zu werden. Aber wir verschenken es lieber für die Ineffizienz unserer Behörden und finden dann auch noch diese peinlichen Ausreden, Deutschland sei ja zu groß um handlungsfähig zu sein. Bullshit.


Wir haben die Möglichkeiten. Wir haben das Geld. Und wir haben die Verantwortung.


Diese ganzen Ausreden von wegen: Deutschland sei so groß, Deutschland sei so föderal, es ist halt so wie es ist, sind beschämend, schwach und feige. Wir können das. Dann lasst uns das auch tun!


Ich habe viele Behörden, Kommunen, Städte bereits erfolgreich in Innovationsansätzen, digitalen Logiken, agilem Denken und unternehmerischem Handeln geschult. Zugegeben, allein das zu organisieren ist ein wahnsinniger und lästiger bürokratischer Akt, der keinen Spaß macht und wenig Geld bringt. Dennoch biete ich mich hier noch mal an, mit all meinem Wissen und Können, diesen Missstand zu beheben. Weil wir unseren Kindern eine Zukunft schulden.


Fangen wir endlich an!





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